Zu Beginn des Jahres 2024 wurde die ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in den evangelischen Landeskirchen veröffentlicht.
Die Studie hatte zum Ziel, eine Analyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen vorzulegen, welche die Entstehung von (sexualisierter) Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen.
Im Rahmen eines Gesprächsgottesdienstes in der St. Martin-Kirche in Nienburg ging es um eine erste Zwischenbilanz über bereits erfolgte Veränderungen, beschrittene neue Wege sowie den angestrebten Kulturwandel.
Welche Entwicklungen lassen sich seit der Veröffentlichung der Studie beobachten? Wie wird mit Betroffenen umgegangen? Welche Reformen sind geplant oder wurden bereits umgesetzt, um zukünftige Missbrauchsfälle zu verhindern?
Zu diesen und vielen weiteren Fragen kam Pastor Oliver Friedrichs mit Nancy Janz, Sprecherin der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ins Gespräch.
In einer eindrucksvollen Präsentation legte Nancy Janz dar, weshalb sie das Beteiligungsforum und dessen Arbeit für unabdingbar hält. Die Funktion des Beteiligungsforums besteht in der Reformierung von Strukturen, sowohl auf Leitungsebene als auch in den Gemeinden selbst. In Hinblick auf ihre Tätigkeit als Sprecherin des Beteiligungsforums betont Janz jedoch, dass sie hier für eine Vielzahl von Betroffenen spricht, die selbst keine Worte finden. Denn ohne die Einbeziehung der Perspektive von Betroffenen kann keine nachhaltige Veränderung erreicht werden.
Im Anschluss an die Veröffentlichung der Studie wurden in Nienburg zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Am 6. Juni 2024 wurde von der Kirchenkreissynode des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Nienburg einstimmig das Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt verabschiedet. Das Konzept beinhaltet die Verpflichtung aller Kirchengemeinden und Einrichtungen zur Übernahme von Verantwortung sowie die Sensibilisierung ihrer Mitarbeitenden für das Thema sexualisierte Gewalt. Seit August 2024 werden hauptamtlich Beschäftigte zu entsprechenden Präventionsschulungen entsandt. In Zukunft ist vorgesehen, dass auch weitere Mitarbeitende und Ehrenamtliche diese Schulungen absolvieren.
Der Protest, die Landeskirchen würden nichts tun angesichts der Studie, wird von Janz nicht geteilt. „Ich sage nicht, dass Kirche generell nicht zuhört. Das ist von Landeskirche zu Landeskirche, von Kirchenkreis zu Kirchenkreis ganz unterschiedlich.“ An zahlreichen Punkten wird bereits gearbeitet, wobei weitere Maßnahmen erforderlich sind. Diesbezüglich führt Janz aus, dass es sich nicht um eine genuine Aufgabe der Leitung handle. "Sie alle, die hier sitzen, gehören zur Kirche und mir ist es ein großes Anliegen, sie mit in die Verantwortung zu nehmen. Kulturwandel beginnt bei uns allen. Denn wir gestalten diese Kirche.“
Sexualisierte Gewalt stellt eine schwerwiegende Grenzverletzung dar. Die Vermeidung derartiger Grenzverletzungen ist darum ein wesentliches Ziel. Dies erfordert eine kontinuierliche Reflexion auch auf der Ebene kleiner, alltäglicher Handlungen. Was ist mit den lieb gewonnenen Ritualen, die man in den Gemeinden und Kreisen pflegt? Was ist mit dem Handauflegen beim Segen oder der Umarmung zur Begrüßung? Werden hier Grenzen überschritten? Janz betont, Grenzverletzungen können erst sichtbar werden, wenn jede Person für sich selbst die eigene Grenze definiert. Erst eine solche Selbstreflexion ermöglicht die Entwicklung neuer Rituale und Umgangsformen. Somit ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Gemeinden nicht nur Schulungen anbieten, sondern auch regelmäßig Räume für einen Austausch über genau diese Themen bereitstellen. Denn auch Janz ist sich der Tatsache bewusst, dass dies nicht immer einfach ist.
Die Thematik der Sexualität ist stets mit einem Gefühl der Scham verbunden. "Dennoch müssen wir reden", so Janz. Die Ausgestaltung eines solchen Austauschs veranschaulicht Janz anhand der von ihr im vergangenen Jahr in Bremen durchgeführten Veranstaltungsreihe #keinPlatzfürGewalt. Das Ziel der Veranstaltungsreihe era es möglichst viele Sprachräume zu eröffnen, um eine sprachliche Kompetenz in Bezug auf dieses Thema bei allen Beteiligten zu entwickeln. Etwas das Janz sich für die Zukunft wünscht.
Für ihre offenen Worte und die angeregte Diskussion wurde Nancy Janz mit großem Beifall von den rund 100 Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern bedacht. (JL)